Episode 119: Tetsuo, 1989

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Zusammenfassung

Shin‘ya Tsukamoto liefert Ende der 80er Jahre mit dem ersten TETSUO die Initialzündung für den japanischen Independentfilm und das Rezept für Aufmerksamkeit auf internationalen Festivals: anstatt des glänzenden, reichen Japan kurz vor dem Platzen der ökonomischen Blase gibt es hier Salarymen und Kruppstahl-Fetischisten in finsteren Butzen, kaputten Lagerhallen und Otaku-Höllen, die mal mehr, mal weniger willentlich zu Maschinen werden. Wir überlegen, woher Shin‘ya Tsukamoto seine Inspiration zieht – JG Ballard, Lynch, Surrealismus, Futurismus, Punk, Manga, Musikvideos, das eigene monomane Künstlerego – und wie er aus all diesen disparaten Quellen etwas Eigenes zusammenschraubt; was die Summe der Staubsaugerschläuche und Leuchtdioden dieses Films über Japan Ende der 80er zu sagen hat. Und wie hier der Eindruck von lebendiger Biomechanik aus Elektroschrott und Montage entsteht.

Daten & Verfügbarkeit

Tetsuo, J 1989, Regie: Shin’ya Tsukamoto

Wir haben die vorbildliche Blu ray von Third Window Films gesehen, die auch den zweiten Teil enthält – beide in, bedenkt man die Produktionsumstände, bestmöglicher Qualität. Eine Variante mit dem dritten Teil gibt es zudem bei Koch Media.

Rechtliches

Für den Podcast wurden Soundeffekte von der Seite Freesound.org verwendet (Beschreibungen in Englisch):

Thanks to all creators and the community of freesond.org!

Special Thanks

Ein besonderer Dank geht an Florian Hoffmann, der unseren bescheidenen Intro-Text wie ein Ereignis hat klingen lassen. Alle unsere Versuche, ihn mit Nachbearbeitung auf unser Niveau herabzuziehen, sind zum Glück fehlgeschlagen.


3 Antworten zu “Episode 119: Tetsuo, 1989”

  1. Guten Tag! Ein paar erste Gedanken zu eurer Folge (die generell, wie immer, sehr gut war), obwohl ich die sicher noch einmal hören muss, um das alles zu ordnen. Zuerst zur Handlung: die ist tatsächlich sehr stringent und wirkt nur durch den Stil und das Aussparen von Erklärungen konfus und schwierig. Es gibt auch noch eine etwas längere Schnittfassung (als Bonus im Mediabook zum dritten Teil), wo das viel offensichtlicher wird, aber auch hier bekommt man eigentlich alles, was man zum Verständnis braucht. Was die Homoerotik und die Penetrationsängste betrifft, kann man dies als Dekonstruktion des Männlichkeitsbildes des typischen Salarymans (dem Krieger der Firma) sehen. Während er anfangs noch ganz erschrocken von seiner Liebsten mit dem Metalltentakel penetriert wird, steigert sich das, bis er schließlich mit seinem anfänglichen Feind zu einem riesigen Penis fusioniert, welcher die Welt mit seiner Liebe vernichten wird. Wobei auch fraglich ist, ob der Antagonist tatsächlich antagonistische Intentionen hat, er bringt ihm immerhin Blümchen mit, zeigt ihm die rosige Zukunft und möchte wohl nur zu eben dieser Vereinigung treiben.
    Ansonsten spracht ihr viel von Ekel und schrecklichen Dingen. Wobei der Film ganz klar die Absicht hat, diese nicht als schrecklich, sondern anziehend und erotisch zu zeigen. Der Akt mit dem Metalltentakel ist, auch wenn der Protagonist das an sich nicht unbedingt so möchte, klar erotisch inszeniert. Wenn der Metallfetischist angefahren wird, hat das Täterpaar Sex, während er mutmaßlich im Sterben, zuschaut. Die Frau vom Bahnhof greift sich im Kampf lasziv an die Brust (und zerquetscht sie, aber gut…), die Freundin des Protagonisten tötet sich selbst, indem sie ein letztes Mal mit ihm Sex hat usw.. Und darin sehe ich weniger Ekel, als die Faszination und Erotik des grotesken (Stichwort Eroguro). Und daher sehe ich auch den ganzen Film gar nicht als nihilistisch und auch nicht als sonderlich schwer erträglich. Ganz im Gegenteil.
    Natürlich wird am Ende mit Genuss die ganze Welt vernichtet. Dabei muss man aber im Auge behalten, dass gerade in Manga und Anime (Akira, Evangelion usw.) und natürlich auch im Monsterfilm (Tsukamotos Produktionsfirma heißt nicht umsonst Kaiju Theatre) das „Ende“ der Welt auch immer mit einem Neuanfang verbunden ist. In etlichen Werken entsteht aus den Überresten etwas neues. Da spielen natürlich auch Naturkatastrophen und diese Geschichte mit den Atombomben mit rein, in jüngerer Vergangenheit natürlich auch die Katastrophe in Fukushima. Daher sehe ich im Ende gar keine zynische Überzeichnung, sondern einen Funken ehrlichen Optimismus. Im zweiten Teil wird dies dann noch viel weiter getrieben, wo dann explizit die Schönheit von Tod und Zerstörung, als auch das Positive am Ende der Welt ausformuliert werden.
    Was den Cyberpunk angeht, kannte Tsukamoto zur Entstehungzeit des Films den Begriff gar nicht. Später kamen Leute zu ihm und sagten ihm, sein Film sei Cyberpunk, das gefiel ihm und er blieb dabei. Dabei ist es sowieso schon höchst problematisch, den Begriff auf Tetsuo anzuwenden, da er höchstens Teilaspekte dessen bedient und natürlich mit dem, was danach alles als Cyberpunk klassifiziert wurde, nicht sonderlich viel zu tun hat. Wobei der Begriff Cyberpunk heutzutage sowieso nur noch sehr bedingt etwas mit dem eigentlichen Cyberpunk zu tun hat. So oder so: Tetsuo ist einer der frühen Fälle, wo etwas in den Cyberpunktopf geworfen wurde, was da nichts zu suchen hat.
    Für’s erste bin ich leer. Falls mir mehr einfällt, folgt das noch.

  2. Von Tsukamoto geplant war übrigens (wie in quasi all seinen früheren Filmen) das Leben des Menschen in der Großstadt anzuprangern bzw. wie sich das auf den Menschen auswirkt bzw. wie es diesen Verändert. Ob das in diesem Film so gelungen ist, ist eine andere Geschichte.

  3. Danke für Deine erhellenden Hinweise und Kommentare! Ich glaube, wir sind da gar nicht so weit von Dir entfernt, die Handlung selbst ist stringent, nur wird sie aus unserer Sicht durch die Verfremdungen und Auslassungen durchaus schwer wiedergebbar, denn der Film verwehrt uns den Zugriff auf die Subjekte. Auch beim Thema Cyberpunk geht es uns nicht um die Selbstverortung Tsukamotos. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass sein späteres Werk durchaus in der Linie gesehen und interpretiert werden kann, bei diesem Film aber sehe ich die Bezugsräume woanders. Wie immer ist es toll, Deine Hinweise und Perspektiven mitzubekommen. Japanisches Kino ist und bleibt im westlichen Blick eine Annäherung, zumindest bei mir. Deshalb haben wir auch die westlichen Bezugsräume etwas mehr betrachtet. Übrigens denke ich, dass wir den erotischen Aspekt der Gewalt und des Ekels durchaus im Blick hatten. Gerade der Bezugsraum zu Ballard und Crash setzt ja hier an und macht zudem den Bezugsraum Konsum auf 🙂

    Danke nochmal, hoffentlich lesen viele unserer Hörer Deine Kommentar nochmal 😀

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