Episode 024: Schlafzimmerstreit (The Pumpkin Eater), 1964
Obwohl THE PUMPKIN EATER mit einem unsäglichen deutschen Titel ausgestattet wurde, ist der Film deutlich mehr, als er zu sein scheint: Drehbuch von Harold Pinter, Kamera von Oswald Morris, Musik von Georges Delerue und ein tolles Schauspiel-Ensemble um die atemberaubend aufspielenden Anne Bancroft und Peter Finch. Entsprechend dem Personal changiert Regisseur Jack Clayton, selbst aus dem britischen Theater entstammend und einer der Regisseure, der vor allen von den Regie-Kollegen verehrt werden, zwischen Stil-Aspekten des europäischen Autorenfilms, fasst diese aber zu einem homogenen, distinkt britischen Gesamtwerk zusammen. Wir unterhalten uns über diese Stilelemente, die Basis der Filmerzählung in der britischen Theaterwelt der Zeit, aber auch die Mischung aus extrem progressiven und dann wieder sehr reaktionären Momenten; und wir fragen uns, wieso THE PUMPKIN EATER so in Vergessenheit geriet, denn alleine Bancrofts Schauspiel ist es wert, diesen Film gleich mehrfach zu schauen.
Episode 023: Der Dialog (The Conversation), 1974
Wenn wir New Hollywood erklären wollen, dann zeigen wir auf diesen Film: Zwischen dem ersten und zweiten DER PATE inszenierte Francis Ford Coppola DER DIALOG mit technischer Meisterschaft und stellt die Repräsentation von Wahrheit im filmischen Bild und Ton in Frage. Auf oberster Ebene verfolgen wir einen paranoiden Abhörspezialisten bei seiner Suche nach der Wahrheit in einem Stück Tonaufnahme, doch eigentlich werden wir in seine Paranoia mit hineingetrieben und bemerken erst spät, oder gar nicht, dass wir in dem grobkörnigen, direkten Filmbild einer reinen Subjektivierung unterliegen. Wir reden über die filmischen Methoden, mit denen Coppola und vor allem auch sein Sound Monteur Walter Murch (der viel Einfluss auf die Filmmontage hatte) an der filmischen Entsicherung von Wahrheit arbeiten, erörtern die Rolle des grandiosen Schauspiels von Gene Hackman und betrachten, welche Rolle das europäische Kino bei Coppolas Inszenierung gespielt hat.
Episode 022: Martha, 1974
Im Jahre 1974 läuft der vom WDR günstig produzierte Kunstfilm im Prime-Programm der ARD und kommt damit direkt in die Wohnzimmer derer, mit denen Rainer Werner Fassbinder hier (wieder einmal) bitter-böse abrechnet: MARTHA ist ein wütender Angriff auf das Bürgertum, eine krasse Satire, die zu einem fast unerträglichen Horror-Stück mutiert und die Bürgerlichkeit mit ihren Repressionsmechanismen anhand einer schrecklichen sadomasochistischen Ehe auseinandernimmt. Fassbinders masochistisch veranlagte, naiv-arrogante Martha ist dabei genauso unsympathisch wie ihr sadistischer Ehemann Helmut oder auch alle anderen Akteure. Wir reden darüber, wie Fassbinder selbst sein liebstes Genre, das Melodram, opfert, um dessen Rolle als des Bürgerlichen liebste Erzählform auszustellen. Zudem schauen wir auf das Verhältnis zwischen Fassbinders mise-en-scene auf Basis von Kurt Raabs Produktionsdesign und Michael Ballhaus‘ freier, präzise im Raum agierender Kamera.
Episode 021: Guten Morgen (Ohayo / Good Morning), 1959
Zwei Schüler treten in den Schweige-Streik, weil ihnen ein Fernseher im Haushalt verwehrt wird, die Vorsitzende des Hausfrauen-Clubs befürchtet, dass eine Nachbarin die Mitgliedsbeiträge zwecks Kaufs einer Waschmaschine unterschlagen hat – auf den ersten Blick scheint es in GUTEN MORGEN von Yasujiro Ozu um Banalitäten zu gehen. Doch auf dem zweiten Blick werden hier, im Kleinen der Vorstadt und bei jungen Familien, die großen Konfliktlinien des Nachkriegsjapan verhandelt: Moderne versus Tradition, demokratisches Familienverständnis versus Patriarchat, alte Rollenverständnisse versus wirtschaftliche Neuordnung. Wir reden darüber, wie Ozus in seinen Melodramen entwickelter, strenger Stil einen freien Blick auf eine Welt erlaubt, in der selbst die Akteure sich dessen nicht bewusst sind, dass sie gerade ihre Welt verändern, aber merken auch an, warum diese Filme im Zeitalter von großen HD-TVs erst wieder funktionieren können. Es bleibt am Ende ein leichter, fast verschmitzter Film der trotz des Regisseurs-Alters von damals 55 Jahren als alterweise und milde gesehen werden kann.
Episode 020: Branded to Kill (Koroshi no rakuin), 1967
Seijun Suzuki durfte nach diesem Film seine Koffer bei Studio Nikkatsu packen. Obwohl er sich an alle Regeln gehalten hatte (wenige Drehtage, kaum Zeit für den Schnitt, viel Action und auch nackte Haut), waren die Bosse schockiert. Denn Suzuki nimmt sich diese Elemente und macht daraus visuellen Free-Jazz: organisiert sie immer wieder neu, schert sich nicht um die klassische Narration und montiert Sound und Bild nur noch bedingt in Abhängigkeit zu einander, findet also eigene Regeln. Das Ergebnis ist ein Film, der irgendwo zwischen visuellen Optionen von Film Noir oder Nouvelle Vague und japanischem Gangsterfilm zu changieren scheint, aber eigentlich vollkommen für sich steht mit einem Willen, auf seine Art einfach besonders unterhaltsam zu sein.
Episode 019: Das Leben der Frau Oharu (Saikaku ichidai onna / The Life of Oharu), 1952
Die moderne Entscheidung einer Frau innerhalb eines Historienfilms wirft diese in einen Strudel des Niedergangs, der von einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur forciert wird. Mizoguchis laut eigener Aussage bester Film bricht mit Genre-Traditionen und nimmt unter dem Deckmantel der Historie die durchaus noch aktuelle Unterdrückung des vor allem weiblichen Individuums in der Gesellschaft ins Visier. Oharu ist eine aus der Zeit gefallene Figur, die dafür bestraft wird, sich nur ein Mal nicht allen Regeln aufzuopfern. DAS LEBEN DER FRAU OHARU ist ein politischer, clever inszenierter Film voller Ellipsen und Verfremdungen wie theaterhaftem Spiel oder Enthebungen aus dem grundlegenden Realismus der Handlung, welcher das Anschauen zwar schwer macht, aber im Nachgang umso wirkungsvoller bei uns geblieben ist. Über all dies reden wir und verstehen bei der fantastischen Kameraarbeit und der deutlichen, wie effektiven, detailverliebten Inszenierung, wieso gerade die CAHIER DU CINEMA und im Nachgang Nouvelle Vague-Regisseure wie Rivette oder Godard Mizoguchi und seinem Werk so viel Aufmerksamkeit widmeten.
Episode 017: Die brennenden Augen von Schloss Bartimore (The Gorgon), 1964
Die Filme des Hammer-Studios folgen fast alle einem ähnlichen Schema, trotzdem stechen einige von ihnen heraus. THE GORGON aus dem Jahre 1964 zählt zu diesen Perlen, und wir können auch gleich am Personal identifizieren, warum: vor der Kamera stehen die besten Schauspieler, die das Studio zu bieten hat: Christopher Lee schaut kurz vorbei, Peter Cushing und Barbara Shelley haben sogar tragende Rollen. Dahinter inszeniert zudem Hammers Regie-Meister Terence Fisher mit gewohnter Mischung aus Routine und Cleverness im Detail. Wir sprechen darüber, wieso der Film trotz seines ideologischen Ballasts aufgrund der zutiefst viktorianischen Horror-Geschichte, des nie gebrochenen Gothic-Horrors und der Tatsache, dass wir eigentlich von Anfang an wissen, was los ist, eine Menge Spaß macht: nämlich eben aufgrund der tollen Schauspieler, der routiniert-starken Regie, die aus sehr wenig sehr viel macht, und nicht zuletzt einem clever gebauten und umgesetzten Drehbuch.
Episode 000: Weihnachtsspecial: Der Kommandeur (Twelve O’Clock High), 1949
Im Weihnachtsspecial wollen wir uns irgendwie mit STAR WARS beschäftigen, und dank THE LAST JEDI-Regisseur Rian Johnsons Liste an Inspirationen finden wir dadurch einen sehr cleveren, ausgezeichnet geschriebenen und gespielten Film: TWELVE O’CLOCK HIGH (Der Kommandeur) von Henry King aus dem Jahre 1949. Die Mischung aus Psychodrama und Kriegsfilm stellt die Frage, ob selbst Generäle und kernige Staffel-Führer den männlichen Idealen des Kriegers und des von Gefühlen für seine Truppe abgehobenen Anführers gerecht werden können. Wir reden vor allem über den Film selbst, mit besonderem Augenmerk auf eine Kriegsszene, die ganz bewusst echte Wochenschau-Aufnahmen aus dem Dogfight mit gespielten Elementen verwebt.
Episode 016: Laurin, 1989
Ein erstaunliches Regiedebut, ist Robert Sigls LAURIN ein von Ideen fast überbordender, zugleich aber stringent konstruierter Film. Das Schauermärchen für Erwachsene bedient sich inhaltlich bei den Kunstmärchen der Romantik und des literarischen Realismus, visuell changiert er geschickt und atemberaubend zwischen ebendieser Romantik und dem Impressionismus. LAURIN ist ein fordernder Film, der seine Qualitäten vor allem auf dem zweiten Blick offenbart. Wir diskutieren die konsequente Nutzung von Dopplungen, die Rolle von Sigmund Freuds Aussagen zum Unheimlichen und die Inszenierung des Erwachsenwerdens, sowie Sigls Fähigkeit, das Patriachat als gesellschaftliche Vernetzung darzustellen.