Episode 224: Dark Water (Honogurai mizu no soko kara), 2002
Als zweiten Film für unseren #Japanuary haben wir uns Hideo Nakatas Dark Water ausgesucht. Nakatas berühmtester Beitrag zur J-Horror-Welle der frühen Nullerjahre war eine kalkulierte, überaus präzise inszenierte Geisterbahnfahrt. Bei Dark Water geht Nakata sehr viel behutsamer vor: wirkliche Horrorsequenzen sind selten. Stattdessen wird hier ein heruntergekommener Wohnturm langsam zum Gothic-Schloss, im Zentrum steht statt dem Übernatürlichen die Geschichte einer hässlichen Scheidung, die eine nun alleinerziehende Mutter langsam aber stetig zermürbt. Wir reden über Nakatas Inszenierungsmethoden und ordnen den Film in den japanischen Nullerjahren ein. Manchmal gruseln wir uns auch.
Episode 218: Der Leichendieb (The Body Snatcher), 1945
Wir melden uns mit unserem ersten Beitrag zum #horroctober (oder #schocktober ?) zurück: mit einem Gespräch über Val Lewton und Robert Wises grandiosen Leichendieb (1945). Es geht um einen skrupellosen Arzt im Edinburgh des frühen 19. Jahrhunderts, der nicht davor zurückscheut, die Leichen für den Anatomieunterricht seiner Studierenden aus illegalen Quellen zu besorgen. Besser: besorgen zu lassen, denn sein Dienstleister in der akuten Beschaffungskrise ist ein Kutscher namens Gray, grandios gespielt von Boris Karloff. Wir reden darüber, welch großen Einfluss Regisseur Robert Wise auf diese Lewton-Produktion hat – auf mancherlei Weise könnten wir hier nämlich kaum weiter weg sein von Lewton/Tourneur-Produktionen wie Katzenmenschen. Es geht auch darum, was Orson Welles mit diesem Film zu tun hat. Und wie sehr der Leichendieb darum bemüht ist, die Grenzen des Machbaren in Sachen moralische Ambivalenz im klassischen Hollywoodfilm auszuloten.
Episode 214: The Wicker Man, 1973
Sind die Hippie-Motive und Neo-Folk-Entwicklungen mit freier Liebe und modernistischer Aufarbeitung der „alten“ Religionen schon Horror? Vielleicht für den katholischen Filmdienst der 70er Jahre. Aber eigentlich ist der Film eine komödiantische Abrechnung mit der Konservativen und dem Neo-Folk der Zeit zugleich. Mit Handkamera und Laiendarstellern wird hier eine beim jungen Publikum so beliebte Authentizität simuliert, die schon selbst eine Konstruktion ist, um uns abzulenken von einer fast schon extremen narrativen Konstruktion, die Film zum Ritual werden lässt. Wer das irgendwann realisiert, der verlässt die Welt des Horrors und landet bei einem komödiantischen Musical mit bösem Twist. Spannend, wie dessen gesellschaftliche Kritik aktuell wieder relevant wird…
Episode 209: Dead Heat, 1988
Spurwechsel hin und kümmern uns um das Regiedebut von Schnittmeister Mark Goldblatt, einem der vielen Talente aus der Corman-Schule für günstiges, effektvolles Filmemachen: DEAD HEAT. Als blutrünstige Variante des DEAD ON ARRIVAL-Stoffes muss Treat Williams als Zombie im Cop-Duo seinen eigenen Tod aufklären. Beziehungsweise behauptet das die Handlung, denn eigentlich geht es darum, abstrus-deftige Setpieces zu schaffen, die vor allem Spaß machen. So verhindert das Drehbuch jede Form von Melodramatik und arbeitet stattdessen mit möglichst viel Nihilismus, um die wieder langweiligen Buddy Movie-Mechaniken und überhaupt den 80er Jahre Actionfilm in sich aufzulösen: nicht kunstvoll, aber mit garstigem Humor und anarchischem Willen zur sehr, sehr blutigen Unterhaltung.
Episode 197: Tremors – Im Land der Raketenwürmer (Tremors), 1990
Ja, wir beschließen den #horrorctober eigentlich im #noirvember, aber so ist es eben manchmal im Leben: es ist nicht wirklich vorhersehbar. Im beschaulichen Kaff Perfection, einer wahren Sackgasse im modernen Rest des Western-Countries, geht es den 14 Einwohnern nicht anders. Denn: nicht einmal der härteste Prepper rechnet damit, dass statt dem ewigen Russen der Raketenwurm unter der Tür stehen könnte. Wir beenden unseren Suche nach dem gepflegten Grusel also dieses Jahr doch nicht zitternd in der dunklen Zimmerecke, sondern tief am Endpunkt der ironischen Welt der 1980er Postmoderne, in der Zuschauern abverlangt werden kann, dass sie ihre Hypothesenbildung weg aus dem Wissen über Genre-Optionen und Figuren hin zur film-technischen Umsetzbarkeit und Budgetierung als kleiner, gemeiner Film ausgeweiteten – als hätten die Herren Greenaway und Raimi eine eigene Produktionsfirma gegründet und bemerken gerade, dass das vielleicht ein Fehler war…
Episode 195: Sette note in nero (Die sieben schwarzen Noten / The Psychic), 1977
Horrorktober und wir wagen uns an einen Genrevertreter von Lucio Fulci. Allerdings: wenn wir im Filmarchiv Fulci gucken, dann konsequent gegen den Strich – nicht die berühmten Blut-, Maden- und Gedärmopern, sondern die gepflegten Gialli und Gothic-Thriller. Diesmal haben wir beim britischen Label Shameless ein ganz besonders erfreuliches Exemplar dieser Spielart ausgegraben. Vordergründig erzählt der Film von einer Engländerin namens Virginia (Jennifer O’Neill), die den Fehler begeht, katholisch zu heiraten und dem reichen Ehemann nach Italien zu folgen. Der Clou: die Protagonistin ist die im Englischen Titelgebende Hellseherin, die in einer Vision mit ansehen muss, wie eine junge Frau lebendig eingemauert wird. Dank Virginia wird die Leiche gefunden – im Landhaus ihres Ehemanns. Virginia muss sich nun als Detektivin betätigen, um ihren Ehemann zu entlasten. Das Übernatürliche steht hier allerdings gar nicht im Zentrum. Stattdessen sind Virginias Fähigkeiten für Fulci nur die hauchdünne Motivation, um ganz formalistisch und sehr selbstreflexiv mit Vor- und Rückblenden spielen zu können. Wir als Publikum erleben uns selbst als Co-Regisseure, dürfen über das filmische Erzählen nachdenken. Eine Reihe hinter uns sitzt der junge Brian de Palma.
Episode 175: Dracula, 1958
Man kann Terence Fishers Dracula auf mindestens zweierlei Weisen gucken: eine, bei der man den Plot ernst nimmt und glaubt, es geht um die Vernichtung Draculas (zum ersten Mal: Christopher Lee) durch Van Helsing (Peter Cushing). Dann muss man sich allerdings auf Langeweile einstellen. Das liegt daran, dass sich die vermeintlich Guten und Redlichen hutzelige Männchen mit stiff upper lips sind, fast noch reaktionärer als die männliche Besetzung von Bram Stokers Roman. Damit lässt sich der sagenhafte Erfolg des Films nicht erklären. Die viel schönere und plausiblere Alternative: wir schauen den Film und gehen davon aus, dass sexy Dracula der Held ist. Wir reden darüber, wie Terence Fisher seinen Film so baut, dass das Publikum gar nicht anders kann als – frei nach William Blake – of the devil’s party without knowing it zu sein. Und schwelgen in Technicolor und Christopher Lees Byronic badness.
Episode 171: Frau in Schwarz (The Woman in Black), 1989
Obacht: die Archivare unterhalten sich nicht etwa über den Film mit Daniel Radcliffe von 2012, sondern über die Erstverfilmung von Susan Hills Geistergeschichte aus dem Jahr 1989. Hill war damals alles andere als begeistert über Herbert Wises Fernsehfilm, die Einschaltquoten zu Weihnachten waren mäßig – aber The Woman in Black hat seitdem deutlich an Reputation gewonnen. Das liegt nicht zuletzt am Drehbuch des legendären britischen Fernsehautors Nigel Kneale. Wir unterhalten uns darüber, wie Kneale den schauerromantischen Stoff adaptiert: aus der vage feministischen Heimsuchung des Prosatextes wird im Film die grauenhafte Rückkehr des Viktorianischen an sich. Zudem versuchen wir, die britische Geistergeschichte vom Horrorfilm abzugrenzen. Jochen wagt die These, dass es sich bei The Woman in Black um so etwas wie anti-heritage cinema handelt. Und wir klären, warum man in dieses Geisterhaus auf gar keinen Fall einziehen möchte.
Episode 158: The Old Dark House, 1932
James Whale entführt uns in ein Geisterschloss, dass wir, gegen die Norm, gar nicht erst betreten wollen: hier ist es nicht einfach eine Spiegelung der Psyche seiner Bewohner oder gar des Gothic-typischen Patriarchen, es ist ein Gefängnis für seine Bewohner, und dennoch eine Struktur ihrer Repression. Wie wir das genau interpretieren wollen, bleibt uns überlassen. Whale reduziert Plot auf das absolut Nötigste, zwingt uns in Gleichzeitigkeit und mäandernde Erzählung und macht nicht die Handlung, dafür aber seine expressionistische Bildstrategie redundant. Am Ende bleibt ein Film der Angebote: der sich mit Klassensystemen, dem Überdauern viktorianischer Lebensweisen in der aufkommenden Moderne, christlicher und atheistischer Weltsicht und der Verdrängung der Queerness im patriarchalen Verbund beschäftigt. Dabei gruselt es uns weniger, als gedacht, denn trotz der Horroreffekte baut Whale auch eine schwarzhumorige Gesellschaftskomödie auf, und die nicht einmal ohne Hoffnung für die Zukunft.
Episode 157: Mr. Vampire (Geung see sin sang), 1985
Obwohl ganz handzahm als komödiantischer Horrorfilm daherkommend, ist MR. VAMPIRE so etwas wie Paukenschlag im Bereich des Hongkong-Genrekinos, sogar im fernöstlichen Kino allgemein. Ricky Lau inszeniert den Kampf eines erstaunlich menschelnden Daoisten gegen hüpfende Kadaver sorgfältig und sehr zugänglich. Trotzdem bleiben viele Anknüpfungspunkte in das Alltagsleben und die zeitgenössische Politik: die dargestellten Chinesen der frühen Republik wirken hilflos zwischen ihrer Tradition, dem westlich-kolonialen Einfluss und eben den neuen Herrschaftsstrukturen (die irgendwie auch fast schon wie die kommunistischen Nachfolger aussehen) – und dann kommt noch die alte Qing-Dynastie mit ihren Geistern und hüpfenden Leichen zurück, Wiederkehrer einer alten Zeit, die auch nicht mehr passen, wie in der alten Horror-Tradition. Was im Text wie ein komplexes politisches Werk daherkommen mag, ist eigentlich schwer unterhaltsames Action-Kino zwischen albernem, aber pointierten Humor und durchaus funktionierenden Schreck-Sequenzen. Ricky Laus Film dreht dabei auch die Genre-Erwartungen um, spielt fast postmodern mit Zuschauererwartungen und bastelt ein Werk, das effektiv unterhält und dabei wirklich albern, aber eben nicht dumm ist. Eines bleibt dabei aber klar: auf die tradierten Geschichten können wir uns nicht verlassen, auf den mit menschlichen Fehlern behafteten Daoisten dafür umso mehr. Eine echte Empfehlung zum #Horrorctober!